M. Schuler: Atlas des räumlichen Wandels der Schweiz

Titel
Atlas des räumlichen Wandels der Schweiz / Atlas des mutations spatiales de la Suisse.


Autor(en)
Martin, Schuler; Dessemontet, Pierre; Jemlin, Christophe
Erschienen
Zürich 2007: Neue Zürcher Zeitung - Buchverlag
Anzahl Seiten
416 S.
Preis
€ 66,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christian Lüthi, Universitätsbibliothek Bern

Die Schweiz hat sich in den letzten 30 Jahren gesellschaftlich und wirtschaftlich stark verändert. Dieser Wandel spiegelt sich auch in den Statistiken des Bundes. Forschende der ETH Lausanne haben diese Daten kartografi sch umgesetzt und mit Unterstützung des Bundesamtes für Statistik den «Atlas des räumlichen Wandels der Schweiz» erarbeitet. Sie knüpfen dabei an zwei ältere Publikationen an: die Strukturatlanten der Schweiz von 1985 und 1997. Zudem basiert der neue Atlas auf mehreren Volkszählungen (1970, 1980, 1990, 2000) und den Betriebszählungen seit 1965. Damit lassen sich die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte aufzeigen; zu einzelnen Themen existieren sogar Daten bis 1850 zurück. Neu ist auch die kartografische Darstellung. Neben Flächenkarten verwenden die Autoren Signaturenkarten, die jeder Gemeinde einen Kreis mit der Grösse entsprechend ihrer Bevölkerungszahl zuweisen, und Anamorphosenkarten, welche die Gemeindefl ächen so verändern, dass diese den Wert des dargestellten Datentyps zeigen und nicht die Fläche einer topografi schen Karte. Dadurch verzerrt sich das Bild der Schweiz beispielsweise in der Karte der Bevölkerungszahlen. Die bevölkerungsreichen Städte erhalten eine viel grössere Fläche, Gemeinden mit kleiner Bevölkerung schrumpfen. Dadurch erhalten das Mittelland und seine grossen Zentren gegenüber den Alpen und dem Jura grafi sch ein grösseres Gewicht.

Der Atlas verwendet verschiedene Analyseebenen: Am häufi gsten umfassen die Karten sämtliche 2900 Gemeinden der Schweiz. Daneben stehen auch Karten mit den Bezirken oder den Kantonen. Weitere Möglichkeiten sind die Präsentation nach Gemeindetypen oder Typen von Wohnhäusern. Ausserdem präsentiert der Atlas im ersten Kapitel die Bevölkerungsentwicklung im Kontext von ganz Europa im Zeitraum von 1940 bis 2000.

In der Einleitung betonen die Autoren, dass um 1970, dem Ausgangsjahr der
Analyse, in verschiedener Hinsicht eine Zäsur in der jüngsten Geschichte der Schweiz festzumachen ist. Mit dem Beginn der Wirtschaftskrise 1973 ging die lange währende Hochkonjunktur nach dem Zweiten Weltkrieg zu Ende. Zudem verdrängte das Thema des Umweltschutzes die Idee des grenzenlosen Wachstums, und der «Pillenknick» beendete den Babyboom. Ferner stellten die Studentenunruhen von 1968 und fremdenfeindliche politische Bewegungen den gesellschaftlichen Konsens der Nachkriegszeit in Frage. Angesichts dieser Umbrüche betrachtet das Autorenteam den Zeitraum 1970 bis 2000 als Einheit. Der Atlas ist in 16 Kapitel gegliedert, die sich der Bevölkerungsstruktur, der kulturellen Vielfalt, den Lebensformen, dem Einkommen, Wohnformen, der Politik, dem Arbeitspendeln sowie den Veränderungen in der Wirtschaft widmen. Das Schlusskapitel «Die wirkliche Schweiz» zeigt als Synthese wichtige Trends der räumlichen Entwicklung der Schweiz und ihrer Kantone zwischen 1970 und 2000.

Angesichts des hohen Detaillierungsgrades bietet der Atlas die Möglichkeit, einzelne Regionen oder Kantone gezielt zu betrachten. Aus der Perspektive des Kantons Bern lassen sich so zahlreiche Erkenntnisse gewinnen oder bestätigen. Im Bereich der Bevölkerungsentwicklung verzeichnete der Kanton Bern in den Jahrzehnten 1850–1880 und 1970–2000 ein unterdurchschnittliches Wachstum. Bei verschiedenen Themen zeigt sich auch, dass Zürich bei der wirtschaftlichen Entwicklung Bern um mehrere Nasenlängen voraus ist. So ist der Kanton Zürich nicht nur das Zentrum der Finanzdienstleistungen. Er ist auch häufi ger Wohnort für Angehörige des obersten Managements und weist im Durchschnitt höhere Einkommen bei den Privathaushalten auf. Umgekehrt sind in Zürich auch die Kosten (wie bei den Wohnungsmieten) höher. Innerhalb des Kantons Bern bildet die Agglomeration Bern eine Insel in einem eher strukturschwachen Umfeld. Die Städte Zürich, Genf und Basel strahlen diesbezüglich stärker in ihr Umland hinaus, obwohl Bern ein grosses Pendlereinzugsgebiet aufweist.

Es gibt aber auch Dienstleistungsbranchen, in denen die Region Bern stark ist. Dazu gehören nicht nur die öffentliche Verwaltung, sondern auch das Gesundheitswesen, das Bildungswesen, die Informatik, die Telekommunikation und die Kultur.

In der Synthese weisen die Autoren darauf hin, dass der Kanton Bern mit Ausnahme von Biel und dem Jura kaum industrialisiert wurde. Alle Kantonsteile ausser der Region Bern mussten in den 1990er-Jahren massive Arbeitsplatzverluste hinnehmen. So ist die Agglomeration Bern zum «unangefochtenen Pendlerzentrum für den ganzen Kanton aufgestiegen». Dies gilt besonders in Bezug auf Thun und wirkt bis in den deutschsprachigen Teil des Kantons Freiburg.

Der gewichtige Band enthält eine Vielzahl an Informationen und dient als vielschichtiges Nachschlagewerk. Wer sich mit der Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert beschäftigt, wird in Zukunft gerne auf dieses grundlegende Werk des räumlichen und gesellschaftlichen Wandels zurückgreifen.

Zitierweise:
Christian Lüthi: Rezension zu: Schuler, Martin et al.: Atlas des räumlichen Wandels der Schweiz = Atlas des mutations spatiales de la Suisse, Zürich, Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2007, 416 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 69, Nr. 4, Bern 2007, S. 312f.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 69, Nr. 4, Bern 2007, S. 312f.

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